30. September 2021 | NEWSFLASH Umweltrecht

Rechtsprechungsdivergenzen zum Beschwerderecht von Umweltorganisationen im Artenschutz

Schon die Ausgestaltung von Beteiligungs- und Beschwerderechten für Umweltorganisationen im Landesrecht ist uneinheitlich. Diese wird nunmehr ergänzt um eine uneinheitliche Rechtsprechung zu den Aarhus Rechten im Naturschutz: Das Landesverwaltungsgericht Salzburg äußert sich in zwei gleichgelagerten Fällen divergierend zum Ausmaß der Beteiligung von Umweltorganisationen an artenschutzrechtlichen Ausnahmeverfahren. In oberster Instanz obliegt es dem Verwaltungsgerichtshof, hier für eine einheitliche Anwendung des Gesetzes und dadurch für Rechtssicherheit zu sorgen. 

Genehmigungen zur Entnahme von Rabenvögeln, Graureihern und Kormoranen 

Im Bundesland Salzburg hat die örtlich zuständige Bezirksverwaltungsbehörde Ende des Jahres 2020 zwei Genehmigungen zur Entnahme einer bestimmten Anzahl wildlebender Vögel im Tennengau erteilt. Mit einer Entscheidung wurde der Abschuss von Rabenvögeln (Rabenkrähe, Elster, Eichelhäher) genehmigt, mit der anderen der Abschuss von Kormoranen und Graureihern. Gegen beide Entscheidungen hat jeweils eine (andere) Umweltorganisation (UO) Beschwerde an das Salzburger Landesverwaltungsgericht (LVwG Sbg) erhoben.  

Eine Ausgangslage, zwei unterschiedliche Entscheidungen 

Das LVwG Sbg äußert sich in der Folge divergierend zur Zulässigkeit dieser beiden Beschwerden, obwohl die Ausgangslage und die Gesetzesgrundlage für beide Entscheidungen gleich sind. § 150a Salzburger Jagdgesetz (SJG) definiert, an welchen umweltbezogenen Verfahren nach diesem Gesetz sich UO beteiligen dürfen und gegen welche Behördenentscheidungen ihnen ein Rechtsmittel zusteht. An artenschutzrechtlichen Ausnahmeverfahren zu Vögeln dürfen sich UO demnach nur beteiligen, wenn dort streng geschützte Arten nach Anhang I VSch-RL (Vogelschutzrichtlinie, RL 2009/147/EG) behandelt werden. Es handelt sich jedoch weder bei den von der ersten Entscheidung betroffenen Rabenvögeln, noch bei den von der zweiten Entscheidung betroffenen Kormoranen und Graureihern um in Anhang I VSch-RL gelistete Vogelarten. Im Verfahren zu den Rabenvögeln verneint das LVwG Sbg daher mit Verweis auf den Wortlaut des § 150a SJG die Beschwerdelegitimation der UO (LVwG Sbg 20.5.2021, 405-1/633/1/2-2021). Im Verfahren zu den Kormoranen und Graureihern kommt das Gericht zum gegenteiligen Ergebnis: Das Gericht stellt mit Beschluss vom 2.6.2021 fest, dass eine Beschränkung der Beschwerderechte von anerkannten UO nur auf artenschutzrechtliche Ausnahmen betreffend Anhang I-Arten vor dem Hintergrund der Art 5 und 9 VSch-RL sowie Art 9 Aarhus Konvention und der neueren Rsp des VwGH zur Beschwerdelegitimation von UO nach der Aarhus Konvention nicht mit Europarecht und der Aarhus Konvention vereinbar sei (LVwG Sbg 2.6.2021, 405-1/634/1/2-2021). 

Unionsrechtskonforme Interpretation und Anwendungsvorrang 

Da die artenschutzrechtlichen Verbote in Art 5 VSch-RL für sämtliche wildlebende Vogelarten iSd Art 1 VSch-RL gelten und die Öffentlichkeit in der Lage sein muss, die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung, mit der von einer allgemeinen, Unionsumweltrecht vorgesehenen Schutzregelung abgewichen wird, gerichtlich anzufechten (vgl EuGH 20.12.2017, C-664/15, Protect), ist eine Beschränkung der Beteiligungs- und Beschwerderechte von UO auf Anhang I-Arten tatsächlich nicht mit dem Unionsrecht vereinbar. 

In der Entscheidung zu den Graureihern und Kormoranen betont das LVwG Sbg die Verpflichtung der nationalen Gerichte als Organe der EU-Mitgliedstaaten, in Anwendung des in Art 4 Abs 3 EUV niedergelegten Grundsatzes der Zusammenarbeit das unmittelbar geltende Unionsrecht uneingeschränkt anzuwenden und die Rechte, die es den Einzelnen verleiht, zu schützen. Wenn es nicht möglich ist, die volle Wirksamkeit des Unionsrechtes im Wege einer unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts sicherzustellen, so hat ein innerstaatliches Gericht für die volle Wirksamkeit dieser unionsrechtlichen Normen im Wege des Anwendungsvorrangs Sorge zu tragen, indem es jede möglicherweise entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lässt. Insofern trifft die VwG und die Verwaltungsbehörden die Verpflichtung, im Anwendungsbereich des Unionsrechts die einschlägigen Rechtsvorschriften der Union zu identifizieren und deren Sinn auch anhand der Rechtsprechung der Gerichte der Europäischen Union, insbesondere des EuGH, der letztlich zur Auslegung der Rechtsvorschriften der Europäischen Union zuständig ist (Art 267 AEUV), zu erfassen. (vgl VwGH 6.3.2019, Ro 2018/03/0031, VwGH 20.12.2019, Ro 2018/10/0010).  

Die – unionsrechtswidrige – Rechtslage in Salzburg und die dadurch den Behörden und Gerichten aufgebürdete Verpflichtung, die Einhaltung des Unionsumweltrechtes zu gewährleisten, führt zu Anwendungsunterschieden und Rechtsunsicherheit. In oberster Instanz obliegt es somit dem Verwaltungsgerichtshof, hier für eine (auch innerhalb der Verwaltungsgerichtsbarkeit) einheitliche Anwendung des Gesetzes und dadurch für Rechtssicherheit zu sorgen.  

Weitere Informationen: 

Entscheidungsbesprechung am Umweltrechtsblog

Vogelschutzrichtlinie

EuGH 20.12.2017, C-664/15, Protect  

VwGH zur unionsrechtskonformen Interpretation und dem Anwendungsvorrang