Zum Hintergrund
Bei einem sogenannten Vorabentscheidungsverfahren entscheidet der EuGH rechtsverbindlich für alle europäischen Mitgliedstaaten über die Auslegung von Unionsrecht – im gegenständlichen Fall also über mehrere Bestimmungen aus der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL). Damit wird sichergestellt, dass die unionsrechtlichen Grundlagen in der EU einheitlich ausgelegt werden. Die Entscheidung des Gerichtshofs ist daher nicht nur für das konkrete nationale Anlassverfahren relevant, sondern muss in sämtlichen ähnlich gelagerten Verfahren in den übrigen EU-Mitgliedstaaten berücksichtigt werden. Und zwar nicht nur in Hinblick auf den Wolf, sondern auch in Hinblick auf alle anderen streng geschützten Tierarten nach Unionsumweltrecht (zB Luchse, Fischotter, Biber). Aus dem Grund hat das Verfahren hohe Brisanz – auch für die anderen Mitgliedstaaten.
Ausgangspunkt des Verfahrens war eine Bescheidbeschwerde betreffend die Entnahme des Wolfes 158 MATK in Tirol, der für einige Risse von Schafen im Tiroler Unterland verantwortlich gemacht wurde. WWF Österreich und ÖKOBÜRO hatten gegen den Bescheid eine Beschwerde eingebracht. In dem Beschwerdeverfahren hat das Tiroler Landesverwaltungsgericht (LVwG) im Herbst 2022 den EuGH angerufen und diesem eine Reihe von Fragen zur Auslegung der FFH-RL vorgelegt.
Die EuGH-Verhandlung, welche am 25.10.2023 stattfand, stieß unionsweit auf großes Interesse. Neben der österreichischen Bundesregierung und der Tiroler Landesregierung nahmen an der Verhandlung auch Vertreter:innen aus Frankreich, Schweden und Finnland sowie Mitglieder der Europäischen Kommission und des Rates teil. Neben dem WWF Österreich und ÖKOBÜRO, beteiligte sich außerdem der Wiener Tierschutzverein an der mündlichen Verhandlung.
Zentrale Frage: Schutzstatus des Wolfes und Schadensbegriff iSd FFH-RL
Zentral in der Verhandlung war einerseits die Frage des Schutzstatus bzw. des Erhaltungszustands des Wolfes in der alpinen biogeographischen Region und in Österreich. Zudem wurde darüber diskutiert, auf welcher geografischen Ebene die Auswirkungen einer Entnahme zu beurteilen seien. Insbesondere ging es um die Frage, ob die Rudel in Liechtenstein und der Schweiz etwa ebenfalls in die Beurteilung einzubeziehen seien. Daneben stand der Schadensbegriff im Sinne von Artikel 16 Abs 1 lit b FFH-RL im Fokus. Außerdem diskutiert wurden die Anforderungen an eine Alternativenprüfung.
Die Entscheidung des EuGH über die Vorlagefragen wird wohl noch einige Monate auf sich warten lassen. Schon jetzt ist allerdings der Termin für die Verkündung der Schlussanträge der Generalanwältin angesetzt: Diese werden am 18. Jänner 2024 erwartet und dürften wohl richtungsweisend für die Entscheidung des EuGH sein.
In der Verhandlung wurde allerdings eines sehr deutlich: Grundsätzlich ist die Tötung einer geschützten Art im Rahmen der FFH-RL erlaubt – es sind allerdings strenge Voraussetzungen einzuhalten. Ein Abschuss stellt den stärksten möglichen Eingriff dar, deshalb sind Lösungswege, die nicht die Tötung zur Folge haben in diesen Fällen besonders genau und auf den Einzelfall bezogen zu untersuchen. Zentral ist, dass durch die Entnahmen nicht das übergeordnete Ziel der FFH-RL, nämlich die Erhaltung und Wiederherstellung geschützter Arten und Lebensräume konterkariert wird. Auch die Auswirkungen auf den Erhaltungszustand spielen eine wichtige Rolle.
Abschließend ist festzuhalten: In Österreich ist der gute Erhaltungszustand für Wölfe noch nicht erreicht. Der Wolf ist daher zurecht noch immer streng geschützt. Das Problem liegt nicht an seinem hohen Schutzstatus, sondern an der mangelhaften Umsetzung der Vorgaben der FFH-RL in Österreich.