15. Juni 2023 | NEWSFLASH Umweltrecht

Stellungnahmen zu Entnahme-Verordnungen

Zunehmend mehr österreichische Bundesländer erlassen Verordnungen, die die Entnahme von streng geschützten Tierarten, wie Wölfe, Fischotter und Biber, regeln. Zuletzt hat Niederösterreich sowohl die NÖ Fischotter-Verordnung als auch die NÖ Biber-Verordnung um weitere Entnahmeperioden verlängert. In Oberösterreich ist zudem eine Wolfsmanagementverordnung in Kraft getreten. Diese Verordnungen verstoßen nicht nur gegen das geltende Unions- und Völkerrecht, sondern sind auch aus rechtsstaatlicher Sicht problematisch. Gemeinsam mit dem WWF Österreich hat ÖKOBÜRO eine Reihe von Stellungnahmen zu den einzelnen Verordnungen an die Behörden geschickt.

Entnahme-Verordnungen untergraben die Rechte von Umweltorganisationen

Immer öfter dürfen unionsrechtlich streng geschützte Tierarten pauschal auf Grundlage einer Ver-ordnung getötet werden. Das betrifft etwa den Wolf, der mittlerweile in sämtlichen Bundesländern (außer Vorarlberg und Wien) auf Basis einer entsprechenden Entnahme-Verordnung gejagt und erlegt werden darf. Salzburg hat zuletzt ebenfalls angekündigt, eine derartige Verordnung zu erlassen. In Kärnten wurden mittlerweile vier (!) Individuen dieser geschützten Art auf Basis der Kärntner Wolfsverordnung erschossen. Auch betreffend den Biber und den Fischotter sind in den meisten Bundesländern derartige Entnahme-Verordnungen in Kraft, welche die Tötung eines gewissen Entnahme-Kontingents erlauben.

Problematisch aus rechtlicher Sicht ist dabei insbesondere, dass anerkannte Umweltorganisationen gegen diese europarechtswidrigen Verordnungen nach innerstaatlichem Recht keine Rechtsschutzmöglichkeit haben (Art 9 Aarhus Konvention). Im Rahmen des Rechtsschutzverfahren muss die materiell- und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit der getroffenen Entscheidung vollumfänglich überprüft werden können. Der Rechtsschutz muss zudem effektiv und, soweit angemessen, auch vorläufig, sprich: aufschiebend sein.

Nach der Aarhus Konvention wären anerkannte Umweltorganisationen an artenschutzrechtlichen Ausnahmeverfahren zudem effektiv zu beteiligen – ein Begutachtungsverfahren, wie zuletzt in Nieder- und Oberösterreich durchgeführt, erfüllt die Vorgaben der Aarhus Konvention (Art 6 Aarhus Konvention) an eine effektive Beteiligung nicht. Die Begutachtungsentwürfe zur NÖ Biber- und zur NÖ Fischotter-Verordnung wurden dem WWF Österreich nicht einmal zugestellt. Keine einzige derzeit in Geltung stehende Entnahme-Verordnung bzw. die Begutachtungsentwürfe aus Niederösterreich und Oberösterreich lassen derzeit effektive Beteiligungsoptionen, die Art 6 Aarhus Konvention gerecht werden, zu.

Das ist umso stärker zu kritisieren, als die Europäische Kommission Österreich (Bund und Länder) in einem aktuellen Vertragsverletzungsverfahren aufgefordert hat, alle Anforderungen des Übereinkommens über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten korrekt ins nationale Recht umzusetzen. Das betrifft insbesondere den Rechtsschutz gegen Verordnungen. Umgehungskonstruktionen wie die Verordnungspraxis im Artenschutzrecht wurden von der Europäischen Kommission explizit gerügt (VVV Nr. 2014/4111).

Fehlende Einzelfallprüfung verstößt gegen die Fauna Flora Habitat-Richtlinie (FFH-RL)

Gemäß Art 12 FFH-RL müssen die Mitgliedstaaten grundsätzlich die notwendigen Maßnahmen treffen, um ein strenges Schutzsystem für die in Anhang IV FFH-RL genannten Tierarten (z.B. Wolf, Fischotter, Biber) in ihren natürlichen Verbreitungsgebieten einzuführen. Trotzdem sind in begründeten Einzelfällen Ausnahmen vom strengen Schutz möglich. Für die Entnahmen im Verordnungsweg fehlt diese gemäß der FFH-RL erforderliche Einzelfallprüfung.

Ausnahmen gemäß Art 16 FFH-RL dürfen immer nur punktuell als Reaktion auf eine konkrete (Gefahren-) Situation erfolgen. Die Ausnahmeregelungen müssen einerseits im Hinblick auf das Ge-samtziel der FFH-RL gerechtfertigt sein, und andererseits die drei Kriterien des Art 16 FFH-RL erfüllen.

Diese sind:
1.    Nachweis des Vorliegens eines oder mehrerer der in Art 16 Abs 1 lit a bis d FFH-RL genannten Gründe, um unter strenger Kontrolle, selektiv und in beschränktem Ausmaß die Entnahme oder Haltung einer begrenzten und von den zuständigen Behörden spezifizierten Anzahl von Exemplaren bestimmter Tier- und Pflanzenarten des Anhang IV der FFH-RL zu erlauben (z.B. Nachweis eines ernsten drohenden Schadens durch die Behörde),
2.    Fehlen einer anderweitigen zufriedenstellenden Lösung (sog ultima ratio),
3.    Zusicherung, dass die Populationen trotz der Ausnahmeregelung ohne Beeinträchtigung in einem günstigen Erhaltungszustand bleiben.

Durch den Erlass einer Verordnung wird diese Einzelfallgerechtigkeit nicht gewährleistet, vielmehr werden die Ausnahmen vom Schutz zur Regel gemacht. Generell stellt eine Verordnung daher keine korrekte Rechtsform für die Entnahme nach den Vorgaben des Unionsrechts dar. Tatsächlich kann nur das im Bescheiderlassungsverfahren vorgesehene Ermittlungsverfahren eine Einzelfallprüfung gewährleisten.

Da ein Rechtstaat immer auch ein Rechtsschutzstaat sein muss und es die Aufgabe von anerkannten Umweltorganisationen ist, die Einhaltung von Umweltschutzvorschriften wahrzunehmen, ist die gegenständliche Verordnungspraxis nicht nur aus fachlicher Sicht, sondern auch aus rechtsstaatlicher Sicht bedenklich.

Weitere Informationen:

-    Stellungnahme zur Oö. Wolfsmanagementverordnung,
-    Stellungnahme zur NÖ Fischotter-Verordnung,
-    Stellungnahme zur NÖ Biber-Verordnung.