1. Juni 2023 | News, Nachlese

Nachlese: Erfolgsfaktoren für Umweltverfahren – Beispiele aus der Praxis

Eine gemeinsame Veranstaltung von der Wiener Umweltanwaltschaft, dem Institut für Rechtswissenschaften der BOKU Wien, dem Klimaministerium (BMK) als Fördergeber und ÖKOBÜRO – Allianz der Umweltbewegung am 23. Mai 2023.

ÖKOBÜRO hat im Rahmen der Veranstaltung eine qualitative Studie zu Erfolgsfaktoren für Umweltverfahren mit Beispielen aus der Praxis vorgestellt und gemeinsam mit Vertreter:innen aus der Verwaltung, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft diskutiert, welche Empfehlungen sich für Politik und Praxis daraus ableiten lassen.

Die Erwartungen an Umweltverfahren sind sehr unterschiedlich. Wie groß die Herausforderungen für Umweltverfahren dadurch sind, stellte Waltraud Petek, Leiterin der Abteilung für Anlagenrecht im BMK, bereits zu Beginn der Veranstaltung in ihrer Begrüßung klar. So würden Projektwerbende schnelle und möglichst unbürokratische Verfahren wollen, Nachbar:innen sei dagegen eine hohe Lebensqualität wichtig, während Umweltschutzorganisationen einen möglichst hohen Grad an Umweltschutz sicherstellen wollen. Dabei seien Umweltverfahren vor allem dann in den Medien, wenn sie nicht funktionieren. Umso wichtiger sei es, auch Positivbeispiele ins Licht zu rücken und von ihnen zu lernen.

Energiewende mit der Brechstange

Dem pflichtete ÖKOBÜRO-Geschäftsführer Thomas Alge in seiner Begrüßung bei und betonte, dass die Mehrzahl der Umweltverfahren funktioniere und ab Vollständigkeit der Unterlagen in ein paar Monaten abgewickelt seien. Das Hinzuzählen von Planungs- und Realisierungszeit zur Verfahrensdauer verneble die Debatte und ermögliche falsche Rückschlüsse. Alge verwies auf den zunehmenden Druck für Umweltverfahren angesichts des Angriffskriegs Russlands in der Ukraine und einer notwendigen Energiewende. Während die UVP-G Novelle 2023 in Österreich auch Verbesserungen für Umweltverfahren beinhaltete, sei der Vorstoß auf EU-Ebene durch die EU-Notfallmaßnahmenverordnung und das REPower-EU Paket ein Versuch die Energiewende mit der Brechstange zu erzwingen. Die Vorschläge höhlen Umweltrecht und Rechtsstaatlichkeit aus und setzen die Biodiversität nur noch weiter unter Druck, warnte Alge. Anwalt Martin Niederhuber von Niederhuber & Partner (NHP) pflichtete dem in seinem Vortrag „Umweltverfahren 2023 – Wo stehen wir?“ bei und zeigte sich verwundert über den europäischen Vorstoß die eigenen Institute auszuhebeln: „Die Ziele Rechtssicherheit, Transparenz und Effizienz müssen in keinem Gegensatz zueinanderstehen!“

Studienergebnisse: Erfolgsfaktoren für Umweltverfahren

Im Rahmen der qualitativen Studie „Erfolgsfaktoren für Umweltverfahren: Beispiele aus der Praxis“ untersuchte ÖKOBÜRO drei UVP-Verfahren, die unter anderem von verschiedenen Verfahrensbeteiligten in einer vorhergehenden Studie von ÖKOBÜRO als Positivbeispiele genannt wurden:

  • APG-Weinviertelleitung in Niederösterreich (2018)
  • Windkraft-Repowering-Projekt Potzneusiedl im Burgenland (2015)
  • Norderweiterung der Schnellstraße S10 in Oberösterreich (2021)

Studienautorin Lisa Weinberger stellte in ihrem Vortrag die sechs Erfolgsfaktoren vor, die für den Erfolg der Verfahren wesentlich waren:

Am häufigsten wurde der Erfolgsfaktor der vorgelagerten Planung genannt. Eine gute Vorplanung ermöglicht nicht nur eine hohe Qualität des Projektantrags, sondern auch weniger Konflikte im Verfahren – und dadurch eine zügige Durchführung des Verfahrens. Das beweist nicht zuletzt das Burgenland mit einer Verfahrensdauer für Windkraft-genehmigungen von durchschnittlich 6,8 Monaten von Antrag bis Bescheid und nur einem Einspruch bei über 30 geführten Windkraftverfahren seit Beginn der Zonierungen im Jahr 2002.

Die wichtigsten Elemente einer erfolgreichen Planung sind laut den Befragten die Effektivität und Frühzeitigkeit der Öffentlichkeits-einbindung. Für eine möglichst effektive Koordination wurde vor allem auf das Modell des runden Tisches hingewiesen, an dem möglichst alle relevanten Stakeholder (Fachabteilungen der Behörde, Projektwerbende, Landesumweltanwaltschaft, Umweltschutz-organisationen) sitzen. So können mögliche Widersprüche in den Empfehlungen zur Einreichung vermieden, aber auch Synergien erzeugt werden.

Effiziente Umweltverfahren bei frühzeitiger Planung und Beteiligung möglich

In der Podiumsdiskussion beschäftigten sich Vertreter:innen aus der Wissenschaft, Wirtschaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft mit der Frage, welche Handlungsempfehlungen sich aus den Studien-ergebnissen ableiten lassen.

Rechtsanwaltsanwärterin Lara Haidvogl von NHP betonte die frühzeitige Abstimmung mit den Sachverständigen als wesentlich für einen guten Antrag und damit den Erfolg eines Umweltverfahrens und wünschte sich eine Verankerung einer frühzeitigen Koordination in der Praxis. Volker Hollenstein vom WWF wies auf die in der Studie aufgezeigten Defizite im Bereich der Biodiversitätsdaten hin und forderte ein zentrales Datenbanksystem sowie die dafür notwendige Finanzierung. Diesen Vorschlag fanden auch die anderen Podiumsteilnehmenden sinnvoll. Leopold Schalhas vom Amt der Nieder-österreichischen Landesregierung brach zudem eine Lanze für die Landesumweltanwaltschaft: „Ohne die Landesumweltanwaltschaft würde eine wesentliche Koordinierungsstelle und Vermittlungsrolle in Umweltverfahren fehlen.“

Einhellige Meinung am Podium war, dass der Fokus in der Debatte um Verfahrensbeschleunigung weniger auf Gesetzesänderungen und mehr auf Maßnahmen in der Praxis gelegt werden soll. Dazu gehören neben einer guten Planung, Koordination und Öffentlichkeits-einbindung auch ausreichende Behördenressourcen. Dennoch wurde auch die Forderung nach einer Novelle des AVG (Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz) zur Vereinheitlichung des Verfahrensablaufs für Mehrparteienverfahren am Podium als sinnvoll erachtet.

Daniel Ennöckl, Professor für Umweltrecht und Ersatzmitglied des Verfassungsgerichtshofs, verwies im Bezug auf den Erfolgsfaktor der frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung auf die Ergebnisse einer gemeinsamen Studie mit ÖKOBÜRO aus dem Jahr 2021 hin: „Die Untersuchung hat gezeigt, Öffentlichkeitsbeteiligung sichert Qualität.“ So enthalten die Bescheide für Umweltprojekte bei einer Beteiligung der Öffentlichkeit mehr Argumente, bessere Abwägungen und eine profundere rechtliche Beurteilung. Auch der Mythos, dass die Öffentlichkeits-beteiligung zu Abweisungen führe, sei falsch.

Fazit der Veranstaltung war, dass die Best-Practice Erfahrungen rasch in der Verfahrenspraxis integriert werden sollen. Zudem müssen Umweltverfahren durch klare politische Signale entlastet werden und entsprechende Strategien für eine nachhaltige Entwicklung, insbesondere für eine rasche Verkehrs-, Mobilitäts- und Energiewende, eingeleitet werden. Denn die daraus entstehenden Zielkonflikte sind auf Ebene der Umweltverfahren nicht lösbar.

ÖKOBÜRO wird in den folgenden Wochen an einem Leitfaden für eine gute Praxis arbeiten. Dieser wird auf der Website von ÖKOBÜRO veröffentlicht.
 

Weiterlesen:

Studie von ÖKOBÜRO zum Nutzen von Umweltverfahren