Wie hängen nachhaltige Entwicklung, Mobilität und Digitalisierung zusammen und was ist nötig, um jetzt die richtigen Weichen zu stellen? Können wir die Agenda 2030 als Kompass für Umwelt und Arbeit nützen? Dieser und weiteren Fragen widmeten sich die SpeakerInnen und Podiumsgäste der Hybrid-Veranstaltung von ÖKOBÜRO und der Arbeiterkammer Wien am 28.10.2020
Bereits die Begrüßungsreden von Sylvia Leodolter (AK Wien) und Thomas Alge (ÖKOBÜRO – Allianz der Umweltbewegung) zeichnen ein recht eindeutiges Bild: Es bleibt noch viel zu tun, um sozial und ökologisch nachhaltige Mobilität im Sinne der UN Ziele für Nachhaltige Entwicklung umzusetzen:
Sylvia Leodolter lenkt den Blick u. a. auf die nötige Dekarbonisierung des Verkehrsbereichs und auf faire Beschäftigungsverhältnisse sowie inklusive Mobilität. Sie betont die Relevanz des öffentlichen Verkehrs und ein ergänzendes Angebot digitaler Lösungen, insbesondere in ländlichen Gebieten ohne ausreichende öffentliche Anbindung. Jedoch sind bedauerlicherweise gerade dort private Anbieter oft weniger an einer Umsetzung interessiert als in der Stadt.
Darüber hinaus appellierte sie an EU-Organe und die österreichische Regierung, den geplanten Digital Services Act sowie den geplanten Vorschlag zu Arbeitsbedingungen für PlattformarbeiterInnen zu nutzen, um einen Rechtsrahmen für faire Arbeitsbedingungen und Entlohnung im Bereich der Mobilität zu schaffen und das Ziellandprinzip umzusetzen (mehr zum Thema).
Thomas Alge mahnt in seiner Rede, gerade aufgrund der durch COVID-19 bedingten Rückschläge für nachhaltige Entwicklung, keine Zeit mit dem Setzen falscher Schritte zu verlieren. Nötig sind laut ihm nun intensivierte, gleichzeitige Bemühungen, um u. a. die Dekarbonisierung, den Schutz der Biodiversität und den Ausgleich von Ungleichheiten voranzutreiben und gleichzeitig Arbeitsplätze und nachhaltige Infrastruktur zu schaffen. Die Agenda 2030 soll dabei als Kompass zu sektoren- und zielübergreifendem Denken und Handeln führen: Maßnahmen dürfen laut Alge nicht einzelne Ziele anvisieren, sondern müssen eine sinnvolle Ergänzung verschiedener SDGs anstreben. Mit Hinweis auf den diesjährigen ersten Umsetzungsbericht Österreichs an die Vereinten Nationen (FNU/VNR) weist er außerdem auf wichtige nächste Schritte hin, wie beispielsweise SDG-Budgeting und SDG-Checks, welche von SDG Watch Austria gefordert und im Ausblicksteil des Berichts genannt werden (mehr zum Thema).
Keynote I: Der blinde Fleck der Digitalisierung
Felix Sühlmann-Faul
In der ersten Keynote erklärt der Experte für Digitalisierung und Nachhaltigkeit, zu welchen negativen Effekten Digitalisierung führen kann und thematisiert das Zusammenspiel von Gesellschaft und Technologie sowie die Auswirkungen auf zukünftige Generationen. Als wichtiges Beispiel nennt er den Energieverbrauch durch digitale Infrastruktur und Geräte, der einhergeht mit CO2-Emissionen (z. B. durch den Transport der Rohstoffe) und auch soziale Probleme in den Abbauländern mit sich bringt. Die Nutzungsphase digitaler Geräte benötigt bereits 10 % der globalen Stromnachfrage und steigt weiterhin stark an.
Im Bereich nachhaltiger Mobilität kann Digitalisierung laut Sühlmann-Faul eine Chance bieten, vermehrt intermodale Mobilität voranzutreiben und Autos in den Hintergrund treten zu lassen. Als wesentlichen Faktor nennt er dabei die Niederschwelligkeit der Digitalisierung, die es Menschen möglicherweise erleichtert, auf andere Verkehrsmittel umzusteigen. Als Beispiel führt er LeipzigMove an, ein Forschungsprojekt, in dessen Rahmen eine Mobilitäts-App entwickelt wurde: Diese hat die einfache Nutzung von Bus und Bahn, Bikesharing, Carsharing und Taxi zum Ziel und ermöglicht neben der Berechnung des günstigsten Ticketpreises u. a. auch eine Wahl der Fahrt mit der niedrigsten CO2-Bilanz. Darüber hinaus erklärt er, wie die Stadt Ulm verschiedenste digitale Lösungen für Menschen verschiedenen Alters bietet und dabei versucht, Berührungsängste abzubauen und auf BürgerInnenbeteiligung für nachhaltige Mobilität zu setzen.
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Keynote II: Inklusive und klimaverträgliche Verkehrsplanung –geht das? Alexandra Millonig
Alexandra Millonig vom Austrian Institute of Technology spricht, als zweite Speakerin des Veranstaltungstags, aus Sicht der Mobilitätsverhaltensforschung einerseits darüber, wie Menschen die Wahl bestimmter Verkehrsmittel treffen, andererseits über ungleichen Zugang zu Verkehrsmitteln – begonnen bei persönlichen Einschränkungen, über mangelndes Wissen bis hin zu fehlender Bereitschaft, Verhalten zu ändern oder digitale Lösungen zu nutzen. Sie stellt die Frage, wo Digitalisierung diesen Zugang erleichtern kann, Kompetenzen stärken oder Barrieren abbauen kann und erklärt, dass unterschiedliche Lösungsansätze nötig sind, je nachdem, wo die Digitalisierung ansetzen kann.
In ihrem Beitrag erwähnt Millonig u.a., dass Einschränkungen ganz unterschiedlicher Schwere und mit variierender Anzahl an Betroffenen im Einzelnen betrachtet werden müssen. Denn oft würden auch Bevölkerungsgruppen benachteiligt, bei denen man zunächst keine Einschränkung erwarte, wie beispielsweise Jugendliche außerhalb von Städten oder Familien mit Kindern.
Mit einem Blick in die Zukunft erklärt Sie anschließend, dass Technologien alleine nicht ausreichen werden, um Emissionen massiv zu senken, wenn sich das Verhalten nicht ändert. Als wichtiges Schlagwort nennt sie Suffizienz, mit dem Ansatz, so viel wie nötig, aber so wenig wie möglich auf emissionsbehaftete Transportmittel zurückzugreifen. In diesem Kontext präsentiert sie das Modell des Mobilitätskontos, das eine jährliche Menge zulässiger CO2-Emissionen für jede Person beinhaltet, die jährlich gesenkt wird. Dabei sollen benachteiligte Personen höhere Kontingente erhalten und so Ungleichheiten ausgeglichen werden. Ziel ist es, Emissionen zu senken und gleichzeitig gezielter agieren zu können, um Mobilitätskonten in bestimmten Bereichen zu entlasten, falls erhöhte Einschränken oder Benachteiligungen vorliegen.
Keynote III: Digitalisierung und Arbeitswelt – Astrid Schöggl
Astrid Schöggl, Referentin für Digitales in der Arbeiterkammer Wien spricht in Ihrem Vortrag über den Auswirkungen von Digitalisierung auf den Bereich der Arbeit und erklärt, wieso nicht Technologie an sich zur Diskussion stehen sollte, sondern die Verteilung bzw. die entsprechenden Akteure. Als Chancen nennt sie die von Sylvia Leodolter genannte Mobilität am Land, insbesondere durch Sharing-Plattformen. Auch Smart Cities könnten aus ihrer Sicht in Zukunft, mit grünem Strom versorgt, nachhaltige Infrastruktur bereitstellen.
Aufgrund der starken Präsenz von Technologie-Unternehmen an der Front der Digitalisierung stünden insbesondere urbane Zentren oft im Fokus. Darüber hinaus werde häufig erwartet, dass Algorithmen, Software-Innovationen und technokratischen Lösungen Probleme wie die Klimakrise lösen. Laut Schöggl kann dies zu sozialen und ökologischen Problemen führen. Sie geht in diesem Kontext näher auf Dienstleistungs-Plattformen ein, hinter denen die Arbeit von Menschen (meist ohne sicheres Anstellungsverhältnis) steht (Uber-FahrerInnen, EinsammlerInnen (Juicer) von E-Rollern, bald womöglich auf einer Plattform vermittelte LKW-FahrerInnen). Das im Hintergrund stehende Modell des Plattformkapitalismus ist für sie problematisch – sie nennt als markantes Beispiel den Kampf um die Monopolstellung in bestimmten Geschäftsbereichen, der z. B. im Fall von Fahrrädern chinesischer Anbieter zu enormer Ressourcenverschwendung führte.
In Bezug auf soziale Aspekte führt sie eine Befragung der EU-Kommission zu Arbeitsbedingungen von PlattformarbeiterInnen an. In einer in Österreich geführten Diskussion nannten PlattformarbeiterInnen hinsichtlich ihrer Tätigkeit Aspekte wie Flexibilität und Motivation, jedoch auch mangelnde Selbstbestimmung und Kontrolle, Intransparenz (z. B. durch Algorithmen zugeteilte Schichten und Routen), Entfremdung von der Arbeit sowie eine erschwerte Solidarisierung oder Organisierung innerhalb der Berufsgruppe. Auch sie unterstreicht daher die Bedeutung des Digital Services Act für eine Plattformökonomie der Zukunft und appelliert an einen engagierten Einsatz von EU-Kommission, EU-Parlament und der österreichischen Regierung, um zu verhindern, dass Scheinselbständigkeit für die Interessen der Plattformökonomie und entgegen der Prinzipien der europäischen Daseinsvorsorge eingesetzt wird. Öffentliche Daseinsvorsorge müsse aus ihrer Sicht außerdem dort zur Verfügung gestellt werden, wo sie gebraucht werde, nicht dort, wo ein Dienstleistungsangebot Profit verspricht.
Impulse aus der Praxis:
Als Impulse aus der Praxis präsentierten drei Anbieter ihre Apps für nachhaltige Mobilität: Zunächst präsentierte Albert Vogl-Bader, die App Carployee, die für PendlerInnen eine Möglichkeit bietet, auf unkomplizierte und rasche Weise Fahrgemeinschaften für den Arbeitsweg zu bilden (zur Präsentation).
Fluidway, präsentiert von Stefanie Pichler, umfasst ein Mobilitätsbudget, dass zu multimodaler Mobilität anregen soll (zur Präsentation).
FAIRTIQ, präsentiert von Markus Fedra, ist dagegen ein Ticketsystem, das ohne die Konsultation von Tarifsystemen auskommt und schnell und einfach zum günstigsten Ticket für eine Fahrt verhilft (zur Präsentation).
Die Beschäftigungsgenossenschaft CoopCycle wiederum sandte ein informatives Video zu, in dem der Aufbau eines alternativen Systems zur „Gig-Economy“ beschrieben wird. Die in mehreren Ländern vernetzte Kooperative bietet einen Gegenpol zu herkömmlichen, oft nachteiligen Arbeitsbedingungen im Bereich der Fahrrad-Auslieferung.
Referent Robert Walasinski vom Österreichischen Gewerkschaftsbund sprach über seine Erfahrungen bei der Gründung eines Betriebsrat bei Foodora. Er betonte u. a. die Schwierigkeiten, Arbeitsrechte in Startups oder Unternehmen der Gig-Economy durchzusetzen, jedoch auch die Wichtigkeit organisierter ArbeitnehmerInnen-Vertretungen in diesem Bereich (mehr zum Thema).
Podiumsdiskussion: Was bringt die Digitalisierung für eine nachhaltige Mobilitätswende im Sinn der SDGs (Sustainable Development Goals)?
Zu obenstehender Frage sowie zu zahlreichen weiteren Fragen diskutierten:
- Tristan Pöchacker (Österreichischer Gemeindebund)
- Sylvia Leodolter (Arbeiterkammer Wien)
- Ulla Rasmussen| (VCÖ-Mobilität)
- Hans-Jürgen Salmhofer (Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie)
- Felix Sühlmann-Faul (Experte für Digitalisierung und Nachhaltigkeit)
In der Diskussion wurde zunächst die Digitalisierung als Hammer bzw. als Werkzeug genannt, das je nach Einsatzart eine unterschiedliche Wirkung erzielen kann. Das Podium war sich dabei einig, dass Digitalisierung dort anknüpfen sollte, wo sie einen Unterschied machen und als Chance genützt werden kann.
Auch das Prinzip Leave No One Behind der Agenda 2030 wurde als wichtiger Grundsatz betont.
Zudem wurden von den DiskutantInnen die SDGs als Möglichkeit gesehen, nachhaltige Mobilität weiter voranzutreiben.
Einschränkende Faktoren, die thematisiert wurden, umfassten beispielsweise die Zugänglichkeit zu digitalen Lösungen sowie die wichtige Entscheidung darüber, wo Digitalisierung eingesetzt wird.
Darüber hinaus wurde Beachtung von ArbeitnehmerInnen-Rechten erneut erwähnt, es solle zu keinem Abbau des Sozialstaats kommen, so die DiskutantInnen. Leistbarer öffentlicher Verkehr müsse ermöglicht werden, jedoch dabei faire Entlohnung nicht außer Acht gelassen werden.
In Bezug auf ökologische Aspekte wurde der Blick u. a. auf Rebound-Effekte von Lösungen wie Carsharing und E-Rollern gelenkt, die einer tatsächlich nachhaltigen Umsetzung entgegenstehen.
Wirtschaftlichkeit müsse sich an langfristiger Nachhaltigkeit orientieren, gleichzeitig wurde die Notwendigkeit von Steuerungsmechanismen genannt, da das Handeln Einzelner nicht ausreiche. In diesem Zusammenhang wurde auch das Thema Suffizienz erneut aufgeworfen, ebenso wie die Frage: Wie viel Mobilität brauchen wir wirklich?
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