5. August 2024

EuGH sieht Bejagung des Wolfes auf regionaler Ebene in Spanien als unzulässig an

ÖKOBÜRO - Allianz der Umweltbewegung

In der Rs C-436/2022 vom 29. Juli 2024 äußert sich der EuGh erneut zur Bejagung des Wolfs in Zusammenhang mit der FFH-RL. Diesmal geht es um Wolfspopulationen, die vom strengen Schutzregime der Richtlinie ausgenommen sind und deren Entnahme Gegenstand von Verwaltungsmaßnahmen sein können. Dabei stellt er im Ergebnis fest, dass die Entnahme und Nutzung dieser Arten mit der Erhaltung in einem günstigen Erhaltungszustand vereinbar sein muss: Bei Vorliegen eines "ungünstigen" Erhaltungszustandes darf eine Bejagung nicht stattfinden.

Die FFH-RL zielt auf die Sicherung der Artenvielfalt durch die Erhaltung ihrer natürlichen Lebensräume ab (Art 2). In Spanien unterliegt der Wolf unterschiedlichen Schutzregelungen nach der FFH-RL (siehe Anhang II, IV und V): Die Wolfspopulationen südlich des Duero sind streng geschützt. Die Populationen nördlich des Duero können jagdlich genutzt werden (=Gegenstand von Verwaltungsmaßnahmen gem Art 14 FFH-RL). Auf dieser Grundlage stufte die Autonome Gemeinschaft Kastilien und León den Wolf als Art ein, die in der Region nördlich des Duero bejagt werden darf. 2019 wurde auf dieser Grundlage der Nutzungsplan für die Jagdgebiete nördlich des Duero festgelegt. Demnach durften dort in den Jagdperioden zwischen 2019 und 2022 insgesamt 339 Wölfe gejagt werden. Im 2019 von Spanien an die Europäischen Kommission übermittelten Monitoringbericht für den Zeitraum 2013-2018 über die Umsetzung der FFH-RL (Art 17-Bericht) wurde festgestellt, dass sich der Wolf in der mediterranen, der atlantischen und der alpinen Region in einem „ungünstig-unzureichenden“ Erhaltungszustand befinde. Die ersten beiden dieser Regionen umfassen auch das Gebiet von Kastilien und León.


Die Vereinigung für die Erhaltung und die Erforschung des Iberischen Wolfes (ASCEL) erhob gegen den Nutzungsplan Klage beim Obergericht von Kastilien und León. Dieses legte seine Zweifel an der Vereinbarkeit der kastilischen Rechtslage mit den Vorgaben der FFH-RL dem EuGH zur Klärung vor - nämlich ob die Ziele der FFH-RL (Art 2) und die Vorschriften zum besonderen Artenschutz (Art 11, 12, 14 und 16 FFH-RL) Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegenstehen, nach denen der Wolf als Art bezeichnet wird, deren Exemplare in einem Teil des Staatsgebiets dieses Mitgliedstaats gejagt werden dürfen, in dem er nicht unter den strengen Schutz gemäß Art 12 Abs 1 FFH-RL fällt, obwohl sein Erhaltungszustand im gesamten Staatsgebiet dieses Mitgliedstaats als ungünstig eingestuft wurde.


Der EuGH bejahte diese Frage nun. Er stellt fest, dass die Listung von Arten in Anhang V der FFH-RL nicht bedeute, dass ihr Erhaltungszustand grundsätzlich als günstig anzusehen ist. Sondern, dass diese Art unter der Voraussetzung, dass ihre Entwicklung gem Art 11 FFH-RL überwacht wird, Gegenstand von Verwaltungsmaßnahmen sein „kann“. Er betont dabei das eine Listung in Anhang V nicht so verstanden werden kann, dass sie der Erreichung der Ziele der FFH-RL zuwiderläuft (siehe EuGH 29.7.2024, C-436/2022, Rn 50f).


Bei der Festlegung von Verwaltungsmaßnahmen für Anhang V-Arten, haben die Mitgliedsstaaten einen gewissen Beurteilungsspielraum, um deren Nutzung zu begrenzen, so der EuGH. Er erwähnt dabei Verbote, die Einführung von Quotensystemen oder waidmännische Regeln, betont aber, dass es sich dabei um Maßnahmen handeln muss, die die Entnahmen einschränken und nicht ausweiten. Dabei ist darauf zu achten, dass die Entnahme und Nutzung mit der Erhaltung in einem günstigen Erhaltungszustand vereinbar ist (Ebd. Rn 55). Insofern müsse Art 14 Abs 1 FFH-RL so ausgelegt werden, dass die Jagd begrenzt oder eingeschränkt werden darf, wenn dies erforderlich ist, um die betreffende Art in einem günstigen Erhaltungszustand zu erhalten oder diesen wiederherzustellen (Ebd. Rn 58).


Darüber hinaus setzt sich der EuGH mit der Überwachung des Erhaltungszustandes und damit zusammenhängend mit den Datengrundlagen auseinander. Eine Art darf nicht jagdlich genutzt und bejagt werden, wenn eine wirksame Überwachung ihres Erhaltungszustands nicht sichergestellt ist (Ebd Rn 59). Es besteht gem Art 11 FFH-RL die Verpflichtung die Auswirkung von Entnahmen auf den Erhaltungszustand zu bewerten, weshalb die zuständigen Behörden Entscheidungen, in denen die Bejagung einer Anhang V-Art erlaubt wird, begründen müssen und die Überwachungsdaten bereit zu stellen haben, auf die diese Entscheidungen gestützt werden. Bewertungen sollen auf Grundlage der neuesten wissenschaftlichen Daten durchgeführt werden (Ebd Rn 65). Hier betont der EuGH die Qualitätsanforderungen an die Datenverfügbarkeit und -aktualität die er bereits in der Rs Tapiola (EuGH 10.10.2019, C 674/17) dargelegt hat.
In Hinblick auf die Beurteilung der Auswirkungen auf den Erhaltungszustand stellt der EuGH fest, dass nicht nur die Daten über die zu bejagenden Wolfspopulationen, zu berücksichtigen sind, sondern auch die Auswirkung dieser Maßnahme auf den Erhaltungszustand dieser Art in einem größeren Rahmen auf der Ebene der biogeografischen Region oder, soweit möglich, grenzüberschreitend.


Diese Entscheidung reiht sich in die strikte Judikatur des EuGH zum Wolf ein. Er weist darauf hin, dass die Nutzung von geschützten Arten restriktiv zu handhaben und bei Vorliegen eines „ungünstigen“ Erhaltungszustandes unzulässig ist. Er betont die Relevanz von fundierten Daten und Beurteilungsgrundlagen. Hinsichtlich der Beurteilung des Erhaltungszustandes entspricht er seiner Aussage in seiner Entscheidung zum Tiroler Wolf von Anfang Juli: der Erhaltungszustand ist zuerst auf lokaler, dann nationaler und schließlich erst grenzüberschreitender Ebene zu prüfen.

Birgit Schmidhuber ist Umweltjuristin bei ÖKOBÜRO. In den letzten Jahren setzte sie sich besonders auf europäischer Ebene für starke Umweltgesetze ein.