In der Entscheidung Ra 2023/03/0154 ging es um die Frage, ob eine anerkannte Umweltschutzorganisation Beschwerde gegen einen Bescheid zur Gamswildjagd einlegen kann. Der Bescheid erging auf der Grundlage des Oberösterreichischen Jagdgesetzes 1964 (OÖ JagdG 1964). Das Landesverwaltungsgericht OÖ (LVwG OÖ) verneinte das Beschwerderecht der Umweltorganisation, weil § 91a Abs 3 OÖ JagdG 1964 das Beschwerderecht anerkannter Umweltorganisationen auf Bescheide betreffend den Zwangsabschuss von Anhang IV Arten (streng geschützt) der FFH-RL beschränkte. Bei Gamswild handelt es sich jedoch um eine Anhang V Art (geschützt).
Unter Bezugnahme auf Art 47 EU-Grundrechtecharta (GRC) und Art 9 Abs 3 Aarhus-Konvention (AK) führt der VwGH aus, dass Umweltorganisationen als „Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit“ zwingend die nationalen Rechtsvorschriften, die das Unionsumweltrecht umsetzen, geltend machen können müssen. Dabei betont der VwGH auch, dass das OÖ JagdG 1964 ua der Umsetzung von Unionsumweltrecht, nämlich den Bestimmungen über den Artenschutz in der FFH-RL in Bezug auf jagdbare Tiere, wie dem Gamswild, dient.
Weil, wie untenstehend näher ausgeführt, auch bei einem Abschuss von Anhang V Arten die FFH-RL (Unionsumweltrecht) anzuwenden und einzuhalten ist, kommt Umweltorganisationen laut den Ausführungen des VwGH das Recht zu, einen solchen Abschussbescheid vor dem Verwaltungsgericht zu bekämpfen. Dabei muss die Umweltorganisation die Verletzung der unionsrechtlich determinierten Vorschriften begründet geltend machen, was sie in diesem Fall durch Verweis auf das fehlende Monitoring für den Erhaltungszustand des Gamswild auch tat.
Die FFH-RL dient auch dem Schutz von Tierarten des Anhangs V
Der Schutz der FFH-RL erstreckt sich auch auf Tierarten des Anhangs V. Mit Verweis auf die EuGH-Entscheidung in der Rechtssache C-436/22 betont der VwGH, dass es für die Anordnung eines Zwangsabschusses von Tierarten des Anhangs V zunächst erforderlich ist, zu klären, ob sich die Art in einem günstigen Erhaltungszustand befindet. Dies ist anhand der Ergebnisse der verpflichtenden Überwachung des Erhaltungszustands zu bewerten (Art 11 FFH-RL). Den EuGH zitierend, stellt der VwGH klar, dass die jagdliche Nutzung einer geschützten Anhang V Art dann unzulässig ist, wenn eine wirksame Überwachung ihres Erhaltungszustands nicht sichergestellt ist.
Bei geschützten Arten sind im Unterschied zu streng geschützten Arten nicht von vornherein alle „absichtlichen Formen des Fangs oder der Tötung“ im Sinn des Art 12 FFH-RL verboten. Die Anordnung eines Zwangsabschusses ist also nicht stets nur bei Vorliegen der Ausnahmevoraussetzungen des Art 16 FFH-RL zulässig. Ist der Erhaltungszustand der Anhang V Art jedoch ungünstig, verstößt eine Bejagung laut dem VwGH gegen Art 14 FFH-RL, wenn und soweit dies mit der Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes sonst nicht vereinbar wäre. Art 14 FFH-RL verpflichtet die Mitgliedstaaten nämlich zur Setzung von Maßnahmen zur Vereinbarkeit der Aufrechterhaltung bzw. Herstellung eines günstigen Erhaltungszustands. Ist der Erhaltungszustand ungünstig, sind Jagdverbote notwendig zu setzende Maßnahmen.
Ist der Erhaltungszustand der Anhang V Art günstig, führt der VwGH verweisend auf den EuGH aus, dass die Erlassung von Maßnahmen gemäß Art 14 FFH-RL begleitend zur Anordnung des Zwangsabschusses erforderlich sein kann, um den günstigen Erhaltungszustand aufrechtzuerhalten. Bei diesen Maßnahmen kann es sich zB. um Regelungen der Entnahmeperioden oder um die Einführung von Entnahmequoten handeln. Der VwGH verdeutlicht außerdem, dass den Mitgliedstaaten ein gewisser Beurteilungsspielraum für die Setzung von Maßnahmen des Art 14FFH-RL zukommt. Nur bei dessen Überschreitung kann daher eine Verletzung des Unionsumweltrechts vorliegen.
Und was ist mit dem Wolf?
Die VwGH-Entscheidung sowie die dort zitierte EuGH-Entscheidung haben große Bedeutung für die von der Europäischen Union (EU) geplante Herabsetzung des Schutzstatus des Wolfes. Sollte es tatsächlich zu einer Herabsetzung des Schutzstatus des Wolfes in der Berner Konvention kommen, bestünde auch auf EU-Ebene die Möglichkeit die Anhänge der FFH-RL zu ändern und den Wolf von Anhang IV (streng geschützt) in Anhang V (geschützt) zu verschieben.
Wie oben gezeigt, wären Tötungen von Wölfen dann nicht mehr nur unter den engen Voraussetzungen des Art 16 FFH-RL zulässig. Wesentlich ist aber, dass selbst bei erfolgter Herabsetzung die Wiederherstellung bzw. Aufrechterhaltung des günstigen Erhaltungszustands weiterhin das Ziel sein muss. Da der Erhaltungszustand des Wolfs in Österreich ungünstig ist, stünde Art 14 FFH-RL der Bejagung entgegen. Diese wird nämlich kaum mit der notwendigen Herstellung des günstigen Erhaltungszustands vereinbar sein.