Selten erhielt EU-Gesetzgebung so viel öffentliche Aufmerksamkeit. Am 17.06.2024 beschloss der Ministerrat einen der ambitioniertesten Rechtsakte im Naturschutzbereich der Europäischen Union. Dem vorausgegangen war ein intensiver politischer Schlagabtausch auf österreichischer Ebene, der auch noch in den Tagen nach der Abstimmung die Gemüter der schwarz-grünen Koalition erhitzt. Dabei ist der verabschiedete Gesetzestext bereits das Ergebnis eines Kompromisses zwischen Kommission, Parlament und Rat, bei dem Bedenken – insbesondere vonseiten der Landwirtschaft – ausführlich berücksichtigt wurden.
Das Nature Restoration Law: worum es geht
Im Kern verfolgt das EU-„Gesetz“ zur Wiederherstellung der Natur ein ehrgeiziges Ziel: Bis zum Jahr 2030 sollen mindestens 20 % der degradierten Land- und Meeresflächen der EU und bis 2050 alle bedürftigen Ökosysteme wieder in einen guten Zustand versetzt werden. Der Grund: Inzwischen sind mehr als 80 % aller Lebensräume in der EU in einem schlechten ökologischen Zustand. Zahlreiche Tier- und Pflanzenarten kämpfen gerade ums Überleben. Der Kollaps von Ökosystemen hätte schwerwiegende Folgen für den Menschen. Um das zu verhindern, müssen die Mitgliedsstaaten nationale Pläne zur Wiederherstellung der Natur erstellen und umsetzen. Diese Pläne beinhalten ein breites Spektrum an Maßnahmen, wie zum Beispiel Wiederverwaldung, Renaturierung von Flüssen, Bekämpfung invasiver Arten und nachhaltige Land- und Forstwirtschaft. Die Europäische Union wird die Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung der nationalen Pläne umfangreich finanziell unterstützen. Diese dringend notwendigen Maßnahmen zum Erhalt der menschlichen Lebensgrundlagen sorgen laut einer Wirkungsanalyse der EU-Kommission mit über 1.860 Milliarden (!) Euro auch wirtschaftlich für einen enormen Zugewinn für die EU-Mitglieder.
Entgegen häufiger Fehlbehauptungen stärkt die Verordnung die Ernährungssicherheit nachhaltig, da sie Ökosystemdienstleistungen sichert, die für die Lebensmittelproduktion essenziell sind. Bei einer akuten Gefahr für die Versorgung mit Lebensmitteln kann die Kommission die Umsetzung von Artikel 11 (zu landwirtschaftlichen Ökosystemen) notfalls sogar aussetzen. Auch für den Klimaschutz und die Vorbereitung auf Folgen der Klimakrise sind die Maßnahmen wichtig. Beispielsweise trägt der Schutz von Mooren und Auwäldern dazu bei, die EU klimaneutral zu machen und Hochwasserkatastrophen vorzubeugen.
Politische Streitfragen
Trotz der inhaltlichen Bedeutung der Verordnung und der gemeinsam gefundenen Kompromisse im Trilog führte die finale Zustimmung Österreichs zu einem politischen Streit. Klimaschutzministerin Leonore Gewessler stimmte entgegen dem Wunsch ihres Koalitionspartners für das Gesetz. Kritik kam dazu aus mehreren Bundesländern sowie innerhalb der Koalition auf. Ein Vorwurf lautete, dass die Ministerin an eine ältere einheitliche Stellungnahme der Bundesländer gebunden sei, die eine Ablehnung im Rat forderten. Da sich diese Stellungnahme jedoch auf eine ältere Version des Rechtsaktes bezog und auch das Bundesland Wien ausdrücklich der neuen Fassung zustimmte, war diesbezüglich keine Bindungswirkung gegeben. Auch war die Meldung einer Enthaltung Österreichs durch das Bundeskanzleramt sowie ein Einspruch durch andere Ministerien für das BMK nicht verbindlich, da im Rat der EU die jeweiligen Fachminister:innen entscheidungsbefugt sind.
Der Rat stimmte schließlich denkbar knapp mit 20 Ja Stimmen und 66,07 % der EU-Bevölkerung (bei einer Schwelle von 65%) für den Entwurf. Damit ist der Weg für die Verordnung schließlich frei. Die konkreten Umsetzungsakte liegen nun bei den Mitgliedsstaaten, entsprechende Programme sind in den kommenden Jahren zu erarbeiten.