Die Schlussanträge
Am 18.1.2024 erschienen die Schlussanträge der EuGH-Generalanwältin Ćapeta zu den Vorlagefragen des Tiroler Landesverwaltungsgerichtes (LVwG). In diesen, denen der EuGH meist folgt, werden mehrere Fragen zur Anwendung der FFH-Richtlinie beantwortet, die für den Artenschutz hierzulande, aber auch der restlichen EU hoch relevant sind. So wird die Pflicht Österreichs, bzw. konkret der für Artenschutz zuständigen Bundesländer betont, Vorkehrungen für die Rückkehr des Wolfes zu treffen und Abschüsse nicht leichtfertig zu genehmigen. Die Fragen, derer sich der EuGH annehmen muss, wurden vom LVwG Tirol formuliert und betreffen erstens das Thema der behaupteten Ungleichbehandlung Österreichs durch die FFH-Richtlinie, zweitens die geografische Definition des Erhaltungszustandes einer Art, drittens die Definition von „ernster Schaden“ nach der Richtlinie und viertens die zumutbaren Schutzmaßnahmen, die einzuberechnen wären. In allen vier Punkten stellt sich hier die Generalanwältin auf einen strengeren Standpunkt, als es derzeit der Praxis in Österreich entspricht.
Zur behaupteten Ungleichbehandlung Österreichs
Die erste Frage des LVwG Tirol war, ob die FFH-Richtlinie, die unter anderem den strengen Schutz des Wolfes vorsieht, Österreich unsachlich benachteiligen würde, da andere Mitgliedsstaaten im Zuge ihrer EU-Beitrittsverhandlungen laschere Ausnahmebestimmungen für den Abschuss des Wolfes zugestanden bekommen hätten. Generalanwältin Ćapeta verneint dies und verweist darauf, dass eine solche unsachliche Ungleichbehandlung weder durch die Republik noch das Land Tirol dargelegt oder nachgewiesen wurde. Daraus schloss sie, dass „Österreich oder ein Teil seines Hoheitsgebiets […] nicht von Anhang IV der Habitatrichtlinie ausgenommen werden“ könne. Auch sei der EuGH nicht dazu befugt, eine Änderung der Richtlinie und ihrer Anhänge vorzunehmen, die den Schutzstatus des Wolfes ändern würde. Eine solche Änderung wäre nur auf einen Vorschlag der Europäischen Kommission möglich, die aber noch nicht zu einem solchen offiziell aufgefordert wurde. Somit wäre die Frage nach der unsachlichen Behandlung Österreichs durch die FFH-Richtlinie zu verneinen.
Zur (geographischen) Definition des Erhaltungszustandes
Die zweite Frage des LVwG betraf das Thema, ob denn der strenge Schutz des Wolfes auch notwendig wäre, wenn dessen Erhaltungszustand zwar in Österreich schlecht, in anderen Staaten jedoch gut wäre. Dazu stellt die Generalanwältin erst den deutlich zu schlechten Erhaltungszustand des Wolfes in Österreich fest und verneinte weiters auch diese Frage. Prüfungen müssten jedenfalls den rein nationalen Erhaltungszustand betreffen und bewerten, eine „Heilung“ des schlechten Zustandes durch andere Staaten mit gutem Erhaltungszustand sei nicht zulässig. Die gegenteilige Auffassung nationaler Behörden „könnte dazu führen, dass ein ungünstiger Zustand in einem Mitgliedstaat verschleiert und der falsche Eindruck vermittelt wird, dass die Erhaltung einer Art gesichert ist". Auch würde das einen falschen Anreiz setzen, indem sich einzelne Länder aus der Verantwortung des Arterhaltes ziehen könnten, wenn die angrenzenden Mitgliedsstaaten ihre Pflichten ausreichend erfüllen.
Zur Schadensdefinition und den gelinderen Mitteln
Drittens hat der EuGH zu beurteilen, welche „Schäden“ relevant wären bei der Prüfung, ob ein ernsthafter Schaden an Schutzgütern vorläge. Laut der Generalanwältin jedenfalls umfasst sein sollen dabei bereits eingetretene materielle Schäden, unmittelbar bevorstehende Schäden, deren Eintritt eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit hat. Nicht erfasst sein sollen jedoch mittelbare, makroökonomische Auswirkungen wie die etwa von der Tiroler Behörde behaupteten Einbußen der Almwirtschaft als Ganzes. "Diesen Belangen ist in den systemischen Maßnahmen und Plänen Rechnung zu tragen, die die Mitgliedstaaten erlassen müssen, um Art. 12 der Habitatrichtlinie nachzukommen“, so die Generalanwältin.
Schließlich stellte das LVwG noch die Frage danach, ob und in welchem Umfang wirtschaftliche Gründe für die Bewertung zulässiger gelinderer Mittel zulässig wären. Dabei verweisen die Schlussanträge darauf, dass jedenfalls eine Abwägung im Einzelfall nötig sei. Dabei „sind die wirtschaftlichen Kosten im Rahmen der Prüfung der Verfügbarkeit einer anderweitigen zufriedenstellenden Lösung in den Kontext der Verpflichtungen der Mitgliedstaaten zu stellen, die für den strengen Schutz des Wolfs erforderlichen Maßnahmen und Pläne einzuführen.“ Und weiters: „Dies war nicht die mit Art. 16 Abs. 1 der Habitatrichtlinie verfolgte Absicht. Die vorgesehenen Ausnahmeregelungen sind Ausnahmemaßnahmen und sollten nicht zu einem Instrument werden, mit dem das Vorkommen von Wölfen in bestimmten Gebieten verhindert wird. Das Zusammenleben mit Wölfen macht bestimmte Anpassungen erforderlich und damit verbundene Kosten müssen auch seitens der Tierhalter in den Alpen getragen werden. Diese unvermeidlichen Kosten dürfen bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit anderweitiger Maßnahmen nicht außer Acht gelassen werden."
Ein Urteil wird in den kommenden 1-3 Monaten erwartet, den Schlussanträgen sind bis dahin jedoch bereits wichtige Aussagen zum Artenschutz und den Verpflichtungen Österreichs zu entnehmen. Strenge Schutzvorschriften sind zu beachten, geschützte Tierarten wie der Wolf, aber auch etwa Bären, Luchse oder Fischotter dürfen nicht leichtfertig zum Abschuss freigegeben werden.
Weitere Informationen:
Neuigkeiten in Bezug auf das Vorabentscheidungsverfahren zu Tiroler Wolf, News vom 3. Mai 2023