Einleitung des Vertragsverletzungsverfahrens wegen Beeinträchtigung des Erhaltungszustands
2017 gingen bei der EU-Kommission eine Reihe von Beschwerden in Bezug auf zwölf in der Slowakei zur Erhaltung des Auerhuhns ausgewiesenen Natura 2000-Gebiete ein. Mit den Beschwerden wurde die Kommission auf eine übermäßige Waldnutzung in den besonderen Schutzgebieten hingewiesen, die den Erhaltungszustand des Auerhuhns und dessen Lebensräume negativ beeinträchtigt haben sollen.
Daraufhin richtete die EU-Kommission ein Mahnschreiben an die Slowakei. In diesem machte sie deutlich, dass die Slowakei nach der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie und der Vogelschutz-Richtlinie verpflichtet gewesen wäre, sowohl bei den Waldbewirtschaftungsprogrammen als auch bei den Holzernte- und Schädlingsbekämpfungsmaßnahmen eine Verträglichkeitsprüfung im Hinblick auf die Erhaltungsziele der betreffenden Natura 2000-Gebiete durchzuführen. Die einschlägigen Bestimmungen im slowakischen Naturschutz- und Waldgesetz würden das Unionsrecht verletzen und dem geschützten Auerhuhn schaden.
Im Folgenden änderte die Slowakei zwar die entsprechenden nationalen Gesetze, die Zerstörung von Lebensräumen des Auerhuhns und deren Rückgang wurden aber weiterhin belegt. Da die EU-Kommission daher weiterhin der Ansicht war, dass die von der Slowakei mitgeteilten Maßnahmen nicht ausreichten, erhob sie beim EuGH eine Vertragsverletzungsklage und rügte einen möglichen Verstoß gegen die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie und die Vogelschutz-Richtlinie.
EuGH gibt der Klage in vollem Umfang statt
In seiner Entscheidung vom 22. Juni 2022 hat der EuGH nun der Vertragsverletzungsklage vollumfänglich stattgegeben. Nach Ansicht des Gerichtshofs stellen sowohl die Waldbewirtschaftungsprogramme als auch deren Änderungen und die durch besondere Umstände bedingten Holzernten und Maßnahmen zur Verhütung der Gefährdung der Wälder und zur Beseitigung der Folgen von Schäden durch Schadfaktoren, Pläne oder Projekte dar, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung der zwölf Natura 2000-Gebiete in Verbindung stehen oder für diese notwendig sind. Da sie die für das Auerhuhn ausgewiesenen Schutzgebiete aber erheblich beeinträchtigen können, hätte die Slowakei sie auf ihre Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen dieser Gebiete prüfen müssen.
Tatsächlich, so stellte der EuGH fest, habe die Slowakei dies für die Waldbewirtschaftungsprogramme aber seit Jänner 2015 verabsäumt und die Holzernte- und Schädlingsbekämpfungsmaßnahmen überhaupt von einer solchen Prüfpflicht befreit.
Außerdem entschied der Gerichtshof, dass die Slowakei keine geeigneten Schutzmaßnahmen ergriffen habe, um zu verhindern, dass sich die Lebensräume des Auerhuhns verschlechterten. Aufgrund der großflächig durchgeführten Holzernten und den sonstigen zur Bekämpfung von unter der Rinde lebenden Insekten eingesetzten Schädlingsbekämpfungsmitteln – letztere sogar während der Fortpflanzungszeit des Auerhuhns – sei es zu erheblichen Störungen gekommen, gegen die die Slowakei das Auerhuhn in den zu seinem Erhalt ausgewiesenen Natura 2000-Gebieten nicht ausreichend geschützt habe. Dies stelle einen Verstoß gegen die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie dar. Als Konsequenz daraus habe sich die Population des Auerhuhns in den betreffenden Schutzgebieten zwischen 2004 und 2019 um fast 50 % reduziert. Zudem habe die Slowakei die Vogelschutz-Richtlinie verletzt, da sie in den zwölf Schutzgebieten keine besonderen Maßnahmen zum Schutz des Lebensraums getroffen hat, um das Überleben und die Vermehrung des Auerhuhns in seinem Verbreitungsgebiet sicherzustellen.
Die Slowakei ist nun verpflichtet, dieses Urteil so rasch wie möglich umzusetzen und für eine angemessene Prüfung der Pläne sowie für geeignete Schutzmaßnahmen zu sorgen.