Energiepolitik in Deutschland und Belgien
Deutschland und Belgien beschlossen bereits Anfang der 2000er Jahre aus der Nutzung von Kernergie auszusteigen. In Deutschland sollen mit Ende dieses Jahres die letzten drei aktiven Atomkraftwerke deaktiviert werden. In Belgien wurde ein Ausstieg bis 2025 beschlossen. Doch der Einmarsch Russlands in die Ukraine entfachte eine Diskussion um eine mögliche Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke. Das zum einen, um unabhängiger von russischem Gas zu werden und zum anderen, um der drohenden Verteuerung der Energiepreise kurzfristig entgegenzuwirken. Die deutschen Energiekonzerne lehnen aufgrund der fortgeschrittenen Planung des Ausstiegs eine Laufzeitverlängerung ab, auch das Umweltministerium winkte rasch ab. Der Angriff auf das größte Atomkraftwerk Europas, das ukrainische AKW Saprischschja, habe einmal mehr die hohen Risiken der Energieerzeugung durch Atomkraft aufgezeigt. Anders sieht das Belgien. Dort hat die belgische Regierung bereits angekündigt, den Atomausstieg um zehn Jahre zu verschieben. Das wirft, abgesehen von der politischen Frage, ob Laufzeitverlängerungen die Energieversorgung tatsächlich krisenfester machen würde, die rechtliche Frage nach den Voraussetzungen für eine Laufzeitverlängerung auf.
Internationales Regelwerk für Atomprojekte
Aus rechtlicher Sicht gibt es mehrere internationale Übereinkommen und Bestimmungen, die für jedes Atomprojekt eine Umweltprüfung vorsehen. Hier sind vor allem die Aarhus-Konvention, die Espoo-Konvention und – für Mitglieder der Europäischen Union wie Deutschland – die UVP-Richtlinie von zentraler Bedeutung. Alle diese Regelungswerke zielen darauf ab, die negativen Umweltauswirkungen solcher Großprojekte zu begrenzen und die Öffentlichkeit zu beteiligen. Nachbar:innen, Bürgerinitiativen und Umweltorganisationen, haben dabei das Recht, ihre Meinung, mögliche Befürchtungen und Verbesserungsvorschläge zu äußern.
Rechtskonforme Laufzeitverlängerung, aber wie?
Auch eine Laufzeitverlängerung fällt in den Anwendungsbereich der oben genannten Übereinkommen und Bestimmungen. Von einer Laufzeitverlängerung spricht man, wenn die Lizenz für einen Reaktor abläuft und dieser dennoch in Zukunft für die Stromerzeugung genutzt werden soll.
Im Fall der Espoo-Konvention wurde im Jahr 2020 eine Leitlinie zur Anwendbarkeit der Konvention hinsichtlich Laufzeitverlängerungen von Kernkraftwerken (kurz „LTE-Guidelines“) verabschiedet. In der Leitlinie wurde klargestellt, dass eine Laufzeitverlängerung grundsätzlich ähnliche Auswirkungen wie ein neues Atomkraftwerk hat und daher einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen ist.
Auch der Einhaltungssauschuss zur Aarhus Konvention (ACCC) hat in verschiedenen Fällen festgestellt, dass eine Laufzeitverlängerung eine Änderung der Betriebsbedingungen eines Kernkraftwerks impliziert und die Mitgliedsstatten daher den Anforderungen der Öffentlichkeitsbeteiligung gemäß Artikel 6 der Aarhus Konvention nachkommen müssen.
Voraussetzungen für eine Langzeitverlängerung
Das bedeutet für Staaten wie etwa Belgien, dass eine etwaige Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke jedenfalls auf deren Umweltverträglichkeit und unter Beteiligung der Öffentlichkeit gemäß den internationalen und unionsrechtlichen Bestimmungen zu prüfen wäre und nicht von der Bundesregierung ohne Weiteres durchgewunken werden kann. Für die Öffentlichkeitsbeteiligung bedeutet das ua, dass der Öffentlichkeit in einem ergebnisoffenen Prozess die Möglichkeit der Stellungnahme, deren entsprechende Berücksichtigung im Verfahren und der Zugang zu allen in diesem Zusammenhang relevanten Informationen und entsprechenden Zeitplänen werden müssen. Details zur Öffentlichkeitsbeteiligung im Fall von Laufzeitverlängerungen finden sich auch im neuen ÖKOBÜRO-Toolkit 2022.
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