5. Juli 2021 | NEWSFLASH Umweltrecht

Gerichte in Europa begegnen der Klimakrise

Nach dem legendären Urteil im Fall URGENDA werden nun immer mehr „Klimaklagen“ an europäische Gerichte herangetragen. Die rechtlichen und argumentativen Herangehensweisen sind dabei sehr unterschiedlich und beziehen sich sowohl auf öffentliche als auch auf unternehmerische Verpflichtungen. Eine Sache ist ihnen jedoch allen gleich: Sie richten sich gegen klimaschädliche Bedingungen. Gerichte nehmen die Klimakrise vermehrt ernst, was zwei kürzliche Entscheidungen zum deutschen Klimaschutzgesetz sowie gegen einen niederländischen Ölkonzern zeigen.

Die Erderwärmung muss begrenzt werden

Letztendlich liegt all den Entscheidungen zum Klimaschutz derselbe internationale Vertrag zugrunde: Das Übereinkommen von Paris verpflichtet Vertragsstaaten dazu, die Erderwärmung auf deutlich unter 2°C bzw. möglichst auf 1,5 °C seit dem Jahr 1990 zu begrenzen. Die Gerichte stützen sich dabei insbesondere auf die Aussagen des Weltklimarats (IPCC) in dessen Sachstandsberichten, die die Auswirkungen des Klimawandels unter Berücksichtigung unterschiedlicher Emissionsszenarien darlegen. Diesen entsprechend sind bis 2030 umfassende Maßnahmen zu setzen und bis 2050 Klimaneutralität sicherzustellen. Die Möglichkeiten, überschießende Emissionsreduktionen – wie etwa im Rahmen der Zertifikathandels – zu übertragen bzw. anzurechnen, erachten die beiden Gerichte nach derzeitigem Stand nicht als ausreichend.

Treibhausgasbudget und langfristiger Planungshorizont für Staaten

Das Deutsche Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hielt in seiner Entscheidung zum deutschen Klimaschutzgesetz zunächst fest, dass der Gesetzgeber sich an einem bestimmten Treibhausgasbudget zu orientieren hat, also einer bestimmten Menge an Treibhausgasen, die jeder Staat der Welt insgesamt noch emittieren darf, damit das globale Klimaziel erreicht wird. Anhand dieser Berechnung stellte das BVerfG fest, dass zu großzügig zugelassene THG-Emissionen bis 2030 Minderungslasten auf Kosten künftiger menschlicher Freiheit auf die Zukunft verschieben könnten: „Klimaschutzmaßnahmen, die gegenwärtig unterbleiben, um Freiheit aktuell zu verschonen, müssen in Zukunft unter möglicherweise noch ungünstigeren Bedingungen ergriffen werden, und würden dann identische Freiheitsbedürfnisse und -rechte weit drastischer beschneiden.“ Dabei berücksichtigte das Gericht auch, dass die Zeitspanne für technische Entwicklungen bei einem schnelleren Verbrauch des THG-Budgets knapper wird.
Das BVerfG stützt sich in seiner Argumentation insbesondere auf das im deutschen Grundgesetz festgelegte Freiheitsrecht sowie das verfassungsrechtlich festgelegte Klimaschutzgebot. Letzteres verpflichtet Deutschland nicht nur dazu, eine Lösung der Klimakrise auch international zu forcieren, sondern auch unabhängig davon nationale Klimaschutzmaßnahmen zu setzen. So soll nicht zuletzt das internationale Vertrauen in die Realisierung der Klimaschutzziele gestärkt werden. Eine klare rechtliche Rahmenregelung zur Reduktion von Emissionen dient laut BVerfG zudem dazu, Vorhersehbarkeit und Verbindlichkeit darzustellen. Vorgaben auch über das Jahr 2030 hinaus sind demnach bereits frühzeitig verfassungsrechtlich geboten, um künftige Freiheit nicht „radikal und ersatzlos beschneiden zu müssen“. Mit dieser Begründung anerkannte das BVerfG die Beschwerde jener natürlichen Personen, die in Deutschland leben und somit durch unverhältnismäßig strenge zukünftige Freiheitseinschränkungen betroffen sein könnten. Als unzulässig erachtete das Gericht hingegen Beschwerden von Personen, die geltend machten, dass ihnen durch den Klimawandel die Möglichkeit der Fortführung eines elterlichen Unternehmens verwehrt würde. Auch verwies es darauf, dass noch nicht geborenen Menschen oder zukünftigen Generationen in Deutschland keine subjektiven Grundrechte geltend machen können.

Ambitionierte Policies mit Klimaschutzmaßnahmen bei Unternehmen

Dem niederländischen Zivilgesetz zufolge haben niederländische Unternehmen ihr Handeln nach einem allgemeinen Vorsorgestandard („standard of care“) auszurichten. Aktivitäten, die diesen ungeschriebenen, aber allgemein anerkannten Rechtsgrundsätzen widersprechen, sind demnach rechtswidrig. Als Prüfmaßstab zog das Gericht unter anderem menschenrechtliche Grundlagen heran, die auch von Unternehmen zu berücksichtigen sind. Das umfasse auch den Versuch, nachteilige Auswirkungen auf Menschenrechte, die direkt mit ihrer Geschäftstätigkeit verbunden sind, zu verhindern oder einzuschränken. Im Ergebnis stellt das Bezirksgericht Den Haag fest, dass der belangte Ölkonzern sich zum Ziel zu setzten hat, die eigenen THG-Emissionen bis 2030 um 45 % im Vergleich zu 2019 zu reduzieren. Das betrifft nicht nur direkte Emissionen durch die unternehmerische Tätigkeit, sondern auch die Emissionen seiner EnergielieferantInnen sowie jener Personen, die seine Produkte konsumieren.
Das Gericht führt dazu aus, dass die Begrenzung der THG-Emissionen und des Klimawandels nicht ausschließlich von Staaten erreicht werden kann, sondern einen Beitrag seitens der Unternehmen erfordert. Dabei verwies es auf das weitgehende internationale Einverständnis, dass alle einzelnen Unternehmen bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen haben. „Das zwingende Allgemeininteresse, dem die Einhaltung der Reduktionsverpflichtung dient, überwiegt die negativen Folgen, die Royal Dutch Shell durch die Reduktionsverpflichtung entstehen könnten, und auch die wirtschaftlichen Interessen des Shell-Konzerns, die durch eine uneingeschränkte Beibehaltung oder sogar Steigerung der CO2-erzeugenden Aktivitäten verfolgt würden.“ Eine Anpassung der angebotenen Energieprodukte im Rahmen seiner Unternehmens-Policy sei demnach gerechtfertigt.

Maßnahmen auch in Österreich erforderlich

Wenngleich die Rechtslage in Österreich sich hinsichtlich der Ausgestaltung der Grundrechte sowie der unternehmerischen Sorgfaltspflichten von jener in Deutschland oder den Niederlanden unterscheiden mag, haben die Aussagen durchaus auch hierzulande Bedeutung. Österreich bekennt sich im Rahmen des BVG Nachhaltigkeit bisher zwar zum umfassenden Umweltschutz, eine verfassungsrechtliche Absicherung der Klimaschutzziele ist im Klimaschutzgesetz (KSG) jedoch noch genauso ausständig wie die Vorgaben zur Reduktion von Treibhausgasen über das Jahr 2020 hinaus. Klare langfristige Emissionsvorgaben sind im Sinne der Rechtssicherheit jedoch auch in Österreich unumgänglich und werden hoffentlich demnächst in das derzeit in Überarbeitung befindliche KSG aufgenommen. Auch gegen Österreich ist aktuell eine Beschwerde an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) wegen einer Verletzung der Rechte auf Leben und Gesundheit durch unzulängliche Klimaschutz-Maßnahmen anhängig. Hier wird damit argumentiert, dass die wiederholte Verfehlung eine Verletzung staatlicher Pflichten und somit der Menschenrechte auf Leben und Gesundheit darstellt.

Weitere Informationen:
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum deutschen Klimaschutzgesetz
Niederländisches Urteil gegen Shell
Österreichische Klimaklage and den EGMR
Übereinkommen von Paris