EU-Recht sieht keinen Rechtsschutz für die Öffentlichkeit in Beihilfenentscheidungen vor
Grundsätzlich ist es den Mitgliedstaaten der Europäischen Union nach Art 107 Abs 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verboten, staatliche Beihilfen zu gewähren, da diese mit dem Binnenmarkt unvereinbar sind. Möchte ein Mitgliedstaat eine staatliche Beihilfe gewähren, so muss er sich auf eine Rechtfertigung für die Beihilfe berufen. Gem Artikel 108 Abs 3 AEUV haben die Mitgliedstaaten die Europäische Kommission (EK) von jeder beabsichtigten Beihilfegewährung zu unterrichten und dürfen die Beihilfe nicht gewähren, bevor die EK sie genehmigt hat. Kommt diese zum Schluss, dass die Beihilfe nicht mit dem Binnenmarkt vereinbar ist, fordert sie den betreffenden Mitgliedstaat auf, die Beihilfe innerhalb einer bestimmten Frist aufzuheben oder umzugestalten (Art 108 Abs 2 AEUV). Umweltschutzorganisationen haben nach geltendem EU Recht keine effektive Möglichkeit gegen diese Beihilfenentscheidungen der EK vorzugehen, denn Art 2 Abs 2 lit a der Aarhus-Verordnung nimmt Beschlüsse über staatliche Beihilfen, von der Definition der Handlungen und Unterlassungen aus, die Gegenstand eines Antrags auf interne Überprüfung durch eine Umweltschutzorganisation gemäß Art 10ff der Aarhus-Verordnung sein können. Darüber hinaus sind nach Ansicht des ACCC Verfahren nach Art 1(h) und 20(2) der Verordnung 659/1999, nach Art 263 AEUV (Nichtigkeitsverfahren), Art 267 AEUV (Vorabentscheidungsersuchen), sowie nationale Folgeverfahren in denen die Rechtswidrigkeit von Beihilfenentscheidungen aufgegriffen werden könnten, nicht in Einklang mit Art 9 Abs 3 und 4 Aarhus Konvention.
Das ACCC stellt klar: Beihilfenentscheidungen mit Umweltbezug müssen anfechtbar sein
Im Anlassfall wurde vom Vereinigten Königreich eine staatliche Beihilfe für den Bau von zwei Kernreaktoren in Somerset, England, bekannt als Hinkley Point C, in Aussicht gestellt, und von der Europäischen Kommission im Jahr 2014 im Rahmen des Art 108 AEUV-Verfahrens genehmigt. Daraufhin reichten zwei österreichische Umweltschutzorganisationen Beschwerde beim ACCC ein in der sie die Nichteinhaltung der Verpflichtungen der Europäischen Union aus Art 9 Abs 3 und 4 Arhus Konvention geltend machten. In seinem Entscheidungsentwurf kommt das ACCC nunmehr zum Schluss, dass ein Beschluss über staatliche Beihilfemaßnahmen gem Art 108 AEUV durch die Kommission eindeutig ein "Rechtsakt" im Sinne von Art 9 Abs 3 ist, und die Europäische Kommission hier als „Behörde“ iSv Art 2 Abs 2 sowie Art 9 Abs 3 Aarhus Konvention anzusehen ist.
Bemerkenswert ist die Feststellung des Komitees, dass Beschlüsse der EK über staatliche Beihilfenmaßnahmen potentiell gegen europäisches Umweltrecht verstoßen können. Das ACCC bezieht sich hier auf die Entscheidung des EuGH zu Hinkley Point C (EuGH 22.09.2020, C-594/18 P), und stellt fest, dass in die Prüfung der Vereinbarkeit staatlicher Beihilfen mit dem Binnenmarkt auch deren Übereinstimmung mit den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts – etwa dem sich aus Art 37 GRC sowie Art 11 und 194 Abs 1 AEUV ergebenden Prinzip der Erhaltung und Verbesserung der Umwelt – einfließen muss.
Anpassung der Aarhus-Verordnung erforderlich
Der Ende 2020 veröffentliche Begutachtungsentwurf zur Änderung der Aarhus-Verordnung (EG) 1367/2006 sieht keinen Rechtsschutz gegen Beihilfenentscheidungen der EK vor, weshalb eine finale Entscheidung des ACCC in dieser Sache bei der Überarbeitung der Verordnung zu berücksichtigen sein wird. Auch Österreich hat die Aarhus Konvention ratifiziert, weshalb die Feststellungen des ACCC auch im Hinblick auf nationale Verfahren von Interesse sein werden.
Weitere Informationen:
Draft Findings des ACCC zu ACCC/C/2015/128 (European Union)
Entscheidungsbesprechung am Umweltrechtsblog
Aarhus-Verordnung (EG) Nr. 1367/2006