Lebensraum des Feldhamsters unter Druck
Der Feldhamster (Cricetus cricetus) ist in unseren Breiten vom Aussterben bedroht. Veränderung der Landwirtschaft und zunehmende Flächenversiegelung bringen die Art in Bedrängnis. Der Feldhamster steht unter dem strengen Schutz der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL), die sich zum Ziel setzt, die Artenvielfalt in den EU-Staaten durch die Erhaltung der natürlichen Lebensräume und der wildlebenden Tiere und Pflanzen zu sichern. Art 12 FFH-RL verbietet daher alle absichtlichen Formen des Fangs oder der Tötung, jede absichtliche Störung sowie jede Beschädigung oder Vernichtung der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten von geschützten Tieren, wie etwa des Feldhamsters.
Die Bedrängnis des Hamsters wird nun auch in Wien sichtbar, wo es durch die Bautätigkeiten (Baufeldfreimachung) zur Stadterweiterung zur Beschädigung bzw Vernichtung von Fortpflanzungs- und Ruhestätten von Feldhamstern kam. In zwei Vorabentscheidungsverfahren (zum gleichen Fall), initiiert durch das VwG Wien, wird der EuGH um eine Auslegung von Art 12 Abs 1 lit d FFH-RL ersucht.
Bewahrung von Fortpflanzungs- und Ruhestätten für den Artenschutz essentiell
In der ersten Vorabentscheidung, Urteil vom 2.7.2020 (C-477/19), bestärkt der Europäische Gerichtshof seine bereits getroffenen Aussagen zum Verbot in Art 12 Abs 1 lit d FFH-RL. Dieses Verbot betrifft nicht nur absichtliche, sondern auch unabsichtliche Handlungen. Der Unionsgesetzgeber hat so deutlich gemacht, dass er die Fortpflanzungs- und Ruhestätten verstärkt vor Handlungen schützen will, die zu ihrer Beschädigung oder Vernichtung führen. Außerdem betrifft das Verbot nicht unmittelbar die Tiere selbst, sondern möchte wichtige Teile ihres Lebensraums schützen. Der so gewährte strenge Schutz soll also gewährleisten, dass wichtige Teile des Lebensraums der geschützten Tierarten so erhalten werden, dass diese Arten die u. a. für die Ruhe wesentlichen Bedingungen vorfinden können (Rn 27ff).
Der EuGH stellt weiter fest, dass unter dem Begriff „Ruhestätten“ auch Ruhestätten zu verstehen sind, die aktuell nicht mehr beansprucht werden, sofern eine hinreichend hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Art an diese Ruhestätten zurückkehrt. Zudem wurde vom EuGH zum Ausdruck gebracht, dass die Zerstörung eines Hamsterbaueingangs eine Beschädigung bzw. Vernichtung einer Ruhestätte darstellt (Rn 42).
VwG Wien sieht noch Auslegungsbedarf und legt erneut vor
Im Urteil zu C477/19 lehnt der EuGH die Beantwortung der Fragen nach Auslegung der Begriffe „Fortpflanzungsstätte“, „Beschädigung“ und „Vernichtung“ mangels Zulässigkeit ab. Das Vorabentscheidungsersuchen habe keinerlei Erläuterung zur Erheblichkeit dieser Begriffe für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits enthalten und sei daher hypothetischer Natur (Rn 41).
Just reagierte das VwG Wien und legt im Vorabentscheidungsersuchen vom 10.7.2020 diese Fragen dem Gerichtshof erneut zur Behandlung vor. Dieses Mal samt der Erläuterung, dass diese Begriffe für die Beurteilung der im Ausgangsverfahren zu behandelnden Verwaltungsstraftatbestände wesentlich seien. Die angefragten Klarstellungen zur Auslegung von Art 12 Abs 1 lit d FFH-RL sind über die Grenzen des Feldhamsterreichs relevant und wir erwarten mit Spannung die Antwort des Gerichtshofes in dieser Causa.
Weitere Informationen:
ORF science vom 9.7.2020: „Hamster überall vom Aussterben bedroht“
Frankfurter Allgemeine vom 9.6.2011 zu EuGH C-383/09: „Der Feldhamster hat nichts zu befürchten“