Nov. 25, 2021, 9:04 a.m.

ÖKOBÜRO: Rascher aber naturverträglicher Ausbau des Stromnetzes

ÖKOBÜRO stellt fünf Leitlinien für Stromnetzausbau zur Diskussion. Zwillingskrise aus Erderhitzung und Artensterben ist nur gemeinsam lösbar.

Wien (OTS) - Der Ausbau der erneuerbaren Energien als Reaktion auf die Klimakrise erfordert eine rasche Verstärkung des Stromnetzes. Der Neubau von Stromleitungen kann jedoch erhebliche Auswirkungen auf die Natur haben. ÖKOBÜRO – Allianz der Umweltbewegung hat daher einen Stakeholder-Prozess gestartet, um den Ausbau des Stromnetzes sowohl naturverträglich als auch rasch umzusetzen. ÖKOBÜRO-Geschäftsführer Thomas Alge: „Wir erleben aktuell eine globale Zwillingskrise, die Erderhitzung und zugleich ein massives Artensterben. Wir können es uns nicht leisten, uns nur auf die Lösung einer der beiden Krisen zu konzentrieren!“

Remo Probst, Vogelschutzexperte von BirdLife Österreich, wies in seiner Keynote darauf hin, dass Stromleitungen zu einer tödlichen Gefahr für Vögel werden können. Auch wenn sich die Zahl der getöteten Vögel durch für diese gut sichtbare Markierungen um 80 bis 90 Prozent verringern lässt, sollte vor dem Bau einer neuen Leitung stets die Frage gestellt werden, ob diese überhaupt benötigt werde.

In einer anderen Keynote zu den Herausforderungen des Stromnetzausbaus verwies Wolfgang Hafner vom österreichischen Übertragungsnetzbetreiber APG – Austrian Power Grid auf teils lange Verfahrensdauern bei der Genehmigung neuer Stromleitungen. Da bis 2030 in Österreich 100 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energiequellen kommen sollen, müsse die jährliche Stromerzeugung um 27 Terrawattstunden anwachsen und die Kapazität des Stromnetzes synchron dazu steigen. Hafner forderte daher Maßnahmen zur Beschleunigung der Verfahren, wie etwa Änderungen im Verwaltungsrecht und mehr Ressourcen für die Behörden.

Reinhard Uhrig, Leiter der politischen Abteilung und Presse bei GLOBAL 2000 und Vorstandsmitglied von ÖKOBÜRO, forderte, dass Österreich seinen Gesamtenergieverbrauch bis 2030 um 30 Prozent und bis 2050 um 50 Prozent senken müsse, auch um die Stromnetze weniger stark ausbauen zu müssen: „Durch die Elektrifizierung von Verkehr, Wärmeversorgung und anderer Sektoren, die heute noch weitgehend mit der Verbrennung fossiler Energie arbeiten, wird der Stromverbrauch auf jeden Fall ansteigen. Durch Einsparungen beim Energieverbrauch können wir diesen Anstieg aber zumindest begrenzen.“

Zur Lösung dieses Spannungsfelds zwischen Netzausbau für den Klimaschutz und Naturschutzinteressen stellte ÖKOBÜRO fünf gemeinsam mit seinen Mitgliedsorganisationen entwickelte Leitlinien den mehr als 40 anwesenden Stakeholdern aus Energiewirtschaft, Verwaltung, Umweltschutzorganisationen und Bürgerinitiativen zur Diskussion.

Die fünf zur Diskussion gestellten Leitlinien für einen naturverträglichen und raschen Stromnetzausbau:

  • 1. Energieverbrauch bis 2030 um 30 Prozent reduzieren, bis 2050 um 50 Prozent*: Der Stromverbrauch wird auf jeden Fall steigen, da viele bis jetzt fossil betriebene Sektoren (KFZ-Verkehr, Heizen, Industrie) zukünftig primär elektrisch arbeiten werden. Daher ist es notwendig, den Gesamtenergieverbrauch zu senken, um den Ausbau der Stromnetze im Rahmen des Notwendigen zu halten.
  • 2. Öffentlichkeit frühzeitig einbinden und Verfahren stärken: Einbindung der Öffentlichkeit in die Strategische Umweltprüfung (SUP) zum neuen integrierten österreichischen Netzinfrastrukturplan (ÖNIP), bei der Alternativenprüfung auf regionaler Ebene und bei der Festlegung der zu prüfenden Umweltauswirkungen (Scoping). Das soll Grundsatzfragen – wie Bedarf an Leitungen oder Entscheidung über Freileitung oder Erdverkabelung – frühzeitig außer Streit stellen und die darauffolgenden Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) entlasten.
  • 3. Rechtlichen Rahmen für Strategische Umweltprüfung (SUP) konkretisieren: Derzeit fehlen konkrete und einheitliche Vorgaben für ÖNIP und SUP. Vor allem müssen beide als verbindlich für die darauf aufbauenden Planungen und Genehmigungsverfahren festgelegt werden, um Rechtssicherheit herzustellen und die Verfahren rasch durchführen zu können.
  • 4. Minimierungsgebot verankern: Bei der Erstellung des ÖNIP soll als leitendes Prinzip gelten, dass Natur und Biodiversität so wenig wie möglich beeinträchtigt werden. So sollten wann immer möglich bestehende Stromtrassen für stärkere Leitungen verwendet werden, bevor neue errichtet werden.
  • 5. Verbindliche Standards schaffen: Klare ökologische, ökonomische und technische Entscheidungsstandards sollen UVP-Verfahren von Grundsatzfragen entlasten, etwa Kriterien für Ein- bzw. Ausschluss von Erdkabeln oder Grenzwerte für Elektromagnetismus.

ÖKOBÜRO wird die Ergebnisse aus den Stakeholder-Rückmeldungen in seine Leitlinien einarbeiten und diese dann in die politische Debatte um den Ausbau des Stromnetzes einbringen. Große Übereinstimmung bei den Anwesenden zeigte sich vor allem bei der Forderung nach verbindlichen Standards und auch dabei, dass der Gesamtenergieverbrauch sinken müsse, damit der Stromverbrauch nicht zu stark ansteige. Weiterer Diskussionsbedarf zeigte sich vor allem in Detailfragen wie bei der Ausgestaltung der SUP.

ÖKOBÜRO ist die Allianz der Umweltbewegung. Dazu gehören 19 österreichische Umwelt-, Natur- und Tierschutz-Organisationen wie BirdLife, GLOBAL 2000, Naturschutzbund, VCÖ – Mobilität mit Zukunft, VIER PFOTEN oder der WWF. ÖKOBÜRO arbeitet auf politischer und juristischer Ebene für die Interessen der Umweltbewegung.

* * * [i]* Vgl. dazu die Modellrechnung in: Andreas Veigl: [Energie-und Klimazukunft Österreich. Szenario für 2030 und 2050.] (https://www.ots.at/redirect/klimazukunft) Im Auftrag von GLOBAL 2000, Greenpeace und WWF. Wien, 2017