Dec. 12, 2020, 1:02 p.m.

ÖKOBÜRO/Global 2000: Durchbruch bei Atomkraftwerken: Staaten einigen sich auf UVP-Pflicht für Betriebsverlängerung

Mehr Transparenz und grenzüberschreitende Rechte bei Atomenergie

Wien (OTS) - Nach jahrelangen Verhandlungen erzielte die Vertragsstaatenkonferenz zur Espoo Konvention gestern einen Durchbruch. Obwohl Staaten mit Atomkraftwerken, die verlängert werden sollen, hartnäckigen Widerstand zeigten, sind nach der Vereinbarung grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVPs) durchzuführen. Von den in Europa in Betrieb befindlichen Atomkraftwerken erreichen 90 % bis 2030 ihre Auslegungsbetriebsdauer und sollten stillgelegt werden. Doch die meisten Staaten wollen ihre alten AKW weiterhin am Netz behalten, trotz steigender Unfallgefahr.

Seit geraumer Zeit beschäftigen sich die Vertragsparteien rund um die Konvention zur grenzüberschreitenden Umweltverträglichkeitsprüfung mit der Frage, inwieweit die betriebliche Verlängerung von Atomkraftwerken einem Prüfverfahren zu unterziehen ist. Dies legt nun eine gestern im Rahmen der virtuell von Litauen aus organisierten Vertragsstaatenkonferenz der Vereinten Nationen verabschiedete Guidance fest.

2014 verhinderten die Staaten die Verabschiedung der klaren Erkenntnis des Umsetzungsausschusses der Espoo Konvention, wonach eine UVP klar erforderlich ist. Stattdessen verhandelte eine eigens dafür eingerichtete Arbeitsgruppe mit Mitgliedern aus 27 Staaten, darunter Österreich, über einen möglichen Kompromiss. Diesen erzielte die EU-Gruppe nun unter deutscher Präsidentschaft und konnte auch die übrigen Staaten davon überzeugen. GLOBAL 2000 und ÖKOBÜRO brachten sich gemeinsam mit anderen im Themengebiet engagierten NGOs von Beginn an aktiv in den Erstellungsprozess ein. So berücksichtigt die finale Version unterschiedliche Problemstellungen, die bisher bei Genehmigungsverfahren auftraten.

In Zusammenschau mit den bereits gefällten Entscheidungen der Vertragsstaatenkonferenz, wie etwa zur Betriebsverlängerung des ukrainischen AKW Rivne, ergibt dies klar zu befolgende Vorgaben. Staaten haben die Auswirkungen des längeren Betriebes umfassend zu prüfen und die Öffentlichkeit auch in anderen Staaten einzubinden. Weil gerade bei Atomkraftwerken die möglichen Umweltauswirkungen sehr weitreichend sind, geht dieses Beteiligungsrecht zumeist über bloße Nachbarstaaten hinaus. Da Österreich aufgrund seiner zentralen Lage von Reaktorunfällen in fast allen Europäischen Staaten betroffen sein kann, besteht hier ein besonderes Interesse.

In Europa legen nicht nur die völkerrechtlichen Konventionen, sondern auch unionsrechtliche Vorgaben umfassende Prüfverfahren für jene Vorhaben fest, die mit potentiell erheblichen Gefahren für die Umwelt verbunden sind. „Die Verabschiedung der Guidance ist nicht nur aus Sicht der diplomatischen Zusammenarbeit, sondern insbesondere auch im Sinne von mehr Transparenz und Mitsprache ein Erfolg für die Umweltbewegung. Nur so können betroffene Staaten, Personen und Umweltschutzorganisationen effektiv eingebunden werden und bessere Entscheidungen erwirken,“ so Priska Lueger, Umweltjuristin bei ÖKOBÜRO.

Die Linie der Vertragsstaaten entspricht auch der bisherigen Spruchpraxis des Europäischen Gerichtshofs, der erst im Sommer 2019 aussprach, dass Belgien die Verlängerung des Kernkraftwerks Doel um weitere zehn Jahre umfassender zu prüfen hat. Während diese Entscheidung zum Kernkraftwerk Krško in Slowenien auf Druck von Umwelt-NGOs bereits gefallen ist, zeigten sich andere Staaten, wie Frankreich, Tschechien oder die Slowakeibei der Durchführung von Umweltprüfungen bisher zurückhaltend. Das wird sich künftig ändern, sodass auch diese Staaten andere europäische Länder konsultieren.

„Diese Einigung auf die UVP-Pflicht für die Betriebsdauerverlängerung von alten Atomkraftwerken ist ein Durchbruch. Nicht nur Umweltaspekte werden in den Umweltverträglichkeitsprüfungen betrachtet, sondern auch Sicherheitsaspekte. Die Verlängerung des Betriebs von alten AKW ohne UVP, ohne Öffentlichkeit und ohne Betrachtung von Alternativen ist vorbei,“ sagt Patricia Lorenz, Antiatomsprecherin von GLOBAL 2000. Für Österreich werden vor allem Mochovce 1&2 und Temelín von großem Interesse sein.

Das Espoo Implementation Committee als Umsetzungsausschuss der Konvention verfügt nun endlich über eine Grundlage, die anhängigen Verfahren zu über 55 Atomreaktoren wie Tihange, Kozloduy oder Dukovany abzuschließen.

Nähere Informationen zur Situation in Europa finden Sie unter: https://www.oekobuero.at/files/409/oekobuero_paper_on_eia_for_npp_lte .pdf